
Graffiti und Street Art in Berlin – ist das nun jut oder nicht so jut?

Manches kann nur in Städten funktionieren. Graffiti und Street Art gehören dazu. Ich komme vom Land und wenn jemand dort den örtlichen Getränkemarkt nächtlich mit seiner Kunst „beglückt“, ist das „Vandalismus“! „Schmiererei“! Die Empörung ist groß und nach 48 Std. ist das Kunstwerk meistens wieder beseitigt. Berlin ist eine große Stadt. Eine bunte Hauptstadt, genauer gesagt. Schrill, laut, extrem beliebt. Ihre Straßenkunst gibt ihr ein einzigartiges Gesicht. Für eine Zeit lang verschlug es mich in diese verrückte Metropole, ich radelte fast täglich an Touristengruppen vorbei, die eine besondere Stadtführung, eine „Street-Art-Tour“ gebucht hatten, eine Führung über und zu Berlins buntesten Häusern und Straßen. Ich sah den „Spaceman“ jeden Tag, für mich gehörte er zu meinem Alltag, die kreativen Folgen einer Stadt mit zu lautem Pulsschlag. Es ist nur eine bemalte Hauswand, doch für die Touristen war es als würden sie die Berliner Mauer endlich sehen.

Street Art ist in den letzten Jahrzehnten ein nicht mehr wegzudenkender Teil Berlins geworden, schaffte Wahrzeichen und Symbole, zeigt den Zeitgeist der Städte in der zu viele Leute auf zu wenig Platz wohnen. Es gehört zu Berlin wie das Oktoberfest zu München. Kreativität wird ausgelebt, wird gefeiert und zieht Menschen aus aller Welt an.
Es fing alles mit Graffiti an. Halbstarke Jungs die gerne Hip-Hop hörten und ihre Gegend, ihre „Hood“ mit ihren Pseudonymen besprühten. Wenn sie sich dabei etwas mehr Mühe gaben und auch mal mehr als eine Sprühfarbe benutzten, nannte man das dann Style-Writing. Jetzt kann man sogar damit an weltweiten Wettbewerben teilnehmen, wie Write4Gold, muss sich nicht mehr profilieren, man kann sogar erfolgreich sein und in aller Öffentlichkeit „sprayen“.
Auch Street Art entwickelte sich daraus, konzentriert sich mehr auf Bilder, die Schrift ist zweitrangig geworden, um Bilder-Guerilla zu betreiben. „Und was ist das schon wieder?“, würde meine Mutti fragen. Das heißt „Kleinkrieg“ mit Stickern, Schablonen und Farbe führen, winzig oder großflächig, gegen Kapitalismus und Konsumgesellschaft, das ist Kunst gegen Kommerz sowie gegen die örtliche Privatisierung urbaner Räume, die unfaire Beschlagnahmung von öffentlichem Lebensraum.
Das Bild BLUs, in der Curvystraße, war das berühmteste Beispiel für dieses Anti-Konzept, dass man sich durch einen teuren Lebensstil an die eigenen, schicken Uhren fesselt, durch Konsum versklavt wird. BLU ist das Pseudonym eines italienischen Street Art-Gurus, er wurde durch seine monumentalen Arbeiten in Berlin berühmt, muss aber wie die anderen Künstler anonym bleiben, wegen der Sache mit dem „Vandalismus“. Eine Tourismusgesellschaft verwies auf sein Curvy-Werk als „Berliner Sehenswürdigkeit“ und plante seit längerem ein Hotel mit prominenter Sicht darauf in diesem „brachen Viertel“. BLUs Werk sollte selbst kommerzialisiert werden, ein Widerspruch in sich, da die Bewegung der Künstler genau dies anprangern möchte. Kaum dass dies durchsickerte, wurde in der Nacht des 12. Dezember 2014, sein Werk in einer Nebelaktion von Unbekannten schwarz übermalt. Folglich siegte doch die Kunst gegen den Kommerz.
Dieses Thema ist so komplex und potent für Diskussionen, wie die kontroverse Hauptstadt selbst und ihre Schnelllebigkeit. Ich könnte noch viel mehr darüber schreiben, aber da mein Platz begrenzt ist, empfehle ich euch ein Buch von Parkstone International, American Graffiti von Margo Thompson, wenn ihr mehr über die Anfänge dieser vielfältigen Szene, die zu uns nach Deutschland rüberschwabte, lesen möchtet.
E.S.
Fußnote: Bilder stammen von http://artelocal.eu/


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