
Rembrandts Schatten – und wie er England erleuchtete
Die meisten Künstler haben – seien wir ehrlich – einen Schatten. So auch Rembrandt (1606-1669). Das behauptet jedenfalls die Stuttgarter Staatsgalerie und die wird es wohl wissen. Glauben wir ihr also und schließen: Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Und genau das war es, was Rembrandt der Nachwelt vermachte – eine nie da gewesene Meisterschaft in der Helldunkel-Malerei. Er nahm also, wo er ihn nun schon einmal hatte, seinen Schatten und warf ihn voraus auf das England des 18. Jahrhunderts. Das wiederum war froh darum, denn um 1700 hatte die englische Kunst noch nicht viel zu bieten. Rembrandt inspirierte die sogenannte „Englische Manier“ und England wurde zu einer ernst zu nehmenden Kunstnation. Und keiner sagt mal danke. Aber dafür sind wir ja da.

Amelia Elisabeth, Landgräfin von Hessen, war keine schöne Frau. Aber welche geschichtsträchtige Persönlichkeit war schon schön? Ihr mit einem Lockenhelm überstülptes Konterfrei zierte die erste Mezzotinto-Radierung der Kunstgeschichte, vermutlich Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden! Stellt sich die Frage, was das nun mit Rembrandt und den Engländern zu tun hat. Und was ist überhaupt eine Mezzotinto-Radierung?

‚Mezzotinto‘ ist dem Italienischen entlehnt und bedeutet so viel wie Halbton, was sinnfällig die Natur des Mezzotintos (dt. auch Schabkunst) beschreibt: Anstatt Linien zu zeichnen, werden hier auf dunkler Oberfläche fein nuanciert Flächen eingeschabt, die beim späteren Druck hell aufscheinen. Das Ergebnis sind Werke, die seinerzeit beinahe unerreicht in ihrer Licht- und also auch in ihrer Schattenwirkung waren. Beinahe? Einzig Rembrandt konnte ihnen Vorbild sein.

Die schattenliebenden, mit Vorliebe gotisierenden Engländer des 18. Jahrhunderts hatten endlich ihre, die „Englische Manier“ gefunden, indem sie die Mezzotinto-Technik und ihre Meister aus – ja, ja – Holland importierten. England war plötzlich zum Epizentrum einer Kunstform geworden.
Fortan waren die Licht- und Schattenspiele nicht mehr aus der englischen Kunst wegzudenken. Die Bekanntesten ihrer Zunft, Thomas Gainsborough (1727-1788) und Sir Joshua Reynolds (1723-1792), machten sie zu ihrem Markenzeichen, auch und gerade in dem Genre, das im England des 18. Jahrhunderts alle anderen überstrahlte: der Porträtkunst.

Während es bei Gainsborough auch einmal helle, knuffige Hunde in dunklen, pittoresken Umgebungen sein durften, nahm Reynolds ausschließlich den Menschen zum Motiv. Wir erkennen unschwer seine Vorliebe für den – nicht selten geradezu theatralisch inszenierten – Schattenwurf. Nicht Christoph Kolumbus ist es, der uns hier verwegen entgegenblickt, sondern der junge Reynolds selbst, in ungeduldiger Erwartung seiner bevorstehenden Studienreise nach Italien. Und wer möchte, kann im erhobenen Arm des jungen Reynolds auch einen Gruß an den Erfinder des schattenversunkenen Augenpaares sehen: einen gewissen Rembrandt van Rijn.

Ende des Jahrhunderts hatte dann der vielleicht größte englische Künstler aller Zeiten, William Turner (1775-1851), seinen Auftritt. Er führte das Königreich, ja ganz Europa der Moderne entgegen. Rembrandts Schatten hatte, nach rund zwei Jahrhunderten, Turners Licht geboren. Danke für alles, lieber Rembrandt!

Also, hier noch einmal: In der Stuttgarter Staatsgalerie läuft noch bis zum 8. Januar 2017 die Ausstellung „Rembrandts Schatten – England und die Schwarze Kunst“. Nicht verpassen und sich vorher schön über Rembrandt informieren:
Arik Jahn

You must log in to post a comment.