
Cy Twombly: Seeschlacht mit dem Wachsmalstift
Hubert Looser ist ein Name, der sicher nur Experten bekannt ist, wie im Übrigen auch die Namen eines Großteils der einflussreichen Künstler, deren Werke der Schweizer seit den 1960er Jahren sammelt. Picasso, Matisse,Warhol und Jasper Johns, na gut, aber dann wird die Luft selbst für den geneigten Kunstfreund schon dünn. Arshile Gorky? Lucio Fontana? Nehmen wir also die am 29. April beginnende Ausstellung ausgewählter Werke aus Hubert Loosers Kunstsammlung im Essener Museum Folkwang zum Anlass, einen jener weltberühmten und doch der Welt weitestgehend unbekannten Künstler aus besagter Sammlung vorzustellen: Cy Twombly, 1928-2011, Amerikaner, Abstrakter Expressionismus.

Cy Twombly bediente sich in seinen Werken mit Vorliebe in der Kunst- und Menschheitsgeschichte. Ein Beispiel: Welchem berühmten Gemälde ist das folgende Bild nachempfunden?

Na?
17 . Jahrhundert…
Rembrandt…
Amsterdamer Schützengilde…
Im Norden von Westeros wacht die…?

Hätte man drauf kommen können! Rembrandts Meisterwerk zeichnet sich durch seine imposanten Ausmaße, sein ebenso kontrast- wie bedeutungsreiches Helldunkel (wer steht im Licht?) und die Besonderheit aus, dass es ein handlungsgetragenes Gruppenporträt ist: ein Porträt in Bewegung.
Twomblys Version ist mit 190 x 200 cm noch immer großformatig. Es hebt in hellen Linien auf dunklem Grund die Kernstellen des berühmten Vorbilds hervor. Und es suggeriert durch Vervielfältigung der geometrischen Formen ebenjene Bewegtheit, mit der Rembrandt die Porträtmalerei revolutionierte. Die Genialität des Werkes liegt in seiner auf das Wesentliche reduzierten Bezüglichkeit. Bald darauf sollte man das Minimalismus nennen.

35 Jahre später fand gerade die Biennale di Venezia statt, als zwei Flugzeuge in das World Trade Center rasten. Man hatte auch Twombly um einen Beitrag für die unter dem Titel „Plateau der Menschheit“ stehende Ausstellung gebeten und er landete – man verzeihe mir die Wortwahl – einen Volltreffer.
Das Mammutprojekt Lepanto stellt jene folgenschwere Seeschlacht dar, die 1571 vor der Küste des heutigen Griechenlands ausgefochten wurde. Es standen sich gegenüber: das Osmanische Reich und die christlichen Großmächte des Mittelmeers – Orient und Okzident. George W. Bush machte diese Thematik, noch während die Ausstellung lief, aktueller denn je.
Twomblys Umsetzung dieses historischen Ereignisses erinnert an ein Kind, das auf einem Blatt Papier Krieg spielt. Doch in ebendieser scheinbaren Naivität zeigt sie die Schlacht unverstellt als das, was sie war: das größte Massaker auf hoher See, das die Welt je gesehen hat.

Historienmalerei kann durchaus auch abstrakt sein. Cy Twombly besaß jenes seltene Gespür für die Essenz der Dinge, das große Künstler auszeichnet. Der geneigte Kunstfreund sollte mal einen Blick riskieren.
Wir haben, Asche auf unsere Häupter, noch kein Buch über Cy Twombly gemacht. Glücklicherweise stellt das Museum Folkwang Loosers Sammlung jedoch auch eigene Exponate zur Seite. Zum Beispiel von Rodin. Unser Lesetipp daher:
Von Arik Jahn

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