
Anish Kapoor, der Gesinnungsrembrandt
Anish Kapoor ist uns in erster Linie als Gigantomane der Bildhauerkunst bekannt. Der 2013 zum Ritter geschlagene gebürtige Inder machte jüngst mit seiner von der französischen Presse ‚Vagin de la reine‘ (dt. Vagina der Königin) getauften Skulptur im Schloss Versailles Schlagzeilen. So ganz falsch lag man mit diesem Kosenamen nicht, lässt sich Kapoors Neigung zum Loch und allgemein zum Menschlich-Organischen doch nicht von der Hand weisen. Diese seine Neigung (zum Menschlich-Organischen!) steht nun im Amsterdamer Rijksmuseum im Fokus, verbindet sie ihn doch mit einem der Größten seiner Zunft: Rembrandt. Betrachtet man Werke wie Kapoors großartige Installation Leviathan (2011) im Pariser Grand Palais, erschließt sich diese Beziehung nicht auf den ersten Blick. Eine Erklärung tut Not.

Wie wurde Rembrandt Harmenszoon van Rijn zu dem Rembrandt? Natürlich war seine Technik über jeden Zweifel erhaben, doch das allein macht eben noch keinen Rembrandt. Es war sein Zartgefühl für alles Menschliche, für die conditio humana, das ihn von allem abhob, was je da gewesen war. In seiner Feinsinnigkeit jedoch konnte er frappierend brachial sein. Wer sonst hätte im 17. Jahrhundert eine Zeichnung einer frisch gehängten Mörderin angefertigt? Wer sonst hätte, siehe oben, abseits der seinerzeit nicht unüblichen Gemälde von Tierkadavern eine Szene aus dem Anatomieunterricht auf die Leinwand gebracht?

Das Rijksmuseum stellt, noch bis zum 6. März 2016, einigen von Rembrandts Spätwerken Kapoors Relief Internal Object in Three Parts, zu Deutsch ‚Inneres Objekt in drei Teilen‘‚ an die Seite. Der sagt dazu:
„Natürlich lassen diese Werke an Fleisch und innere Organe denken. Aber ich habe immer Werke geschaffen, die sowohl eine starke physische als auch eine immaterielle Präsenz haben.“
Und genau dort findet sich Kapoors Rembrandt’sch-brachiales Zartgefühl für die conditio humana. Wer sich die Zeit genommen hat, obiges Video bis zum Schluss anzuschauen, der weiß bereits um die Doppelnatur eines Werkes wie Leviathan: Es beschreibt einen genuin menschlichen Zustand und lässt uns zugleich in eine Art körperlichen, organischen Raum eintreten.

Das Innere Objekt in drei Teilen ist eben deshalb als Relief gefertigt: Es wächst uns quasi entgegen, es besitzt eine heraufordernde, fleischige Unmittelbarkeit. Nicht von ungefähr ist es an den grausamen Marsyas-Mythos (der bereits Titian zu einem Meisterwerk inspirierte) angelehnt. Wieder ist da also die conditio humana und wieder zeigt er sich, der Gesinnungsrembrandt in Anish Kapoor.
Amsterdam ist (im Gegensatz zu Essen) immer eine Reise wert. Es gibt also keine Ausrede! Die handliche, weil elektronische Zuglektüre liefern wir gleich mit: Rembrandt von Émile Michel aus der Best Of…-Kollektion.


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