
Kunst, cojones und die Spanische Inquisition: Die Aktmalerei von Diego Velázquez und Francisco de Goya
Einhundertleutehamwagefragt: Nennen Sie einen spanischen Künstler der Neuzeit. Würde Werner Schulze-Erdel heute fragen, die Mehrheit antwortete vermutlich Andrés Iniesta (1984-). Und man könnte es ihr nicht einmal verdenken. Wir neigen von Berufs wegen natürlich eher der Antwort Diego Velázquez (1599-1660) zu. Alternativ auch Francisco de Goya (1746-1828) oder Salvador Dalí (1904-1989). Ihnen allen (Iniesta ausgenommen) ist eine besondere Beziehung zum nackten Körper gemein. Dalí konnte sich das im 20. Jahrhundert erlauben. Bilder wie Velázquez‘ Venus vor dem Spiegel (1647-1651) oder Goyas Die nackte Maja (vor 1800) entstanden jedoch zu Zeiten der hartherzigen Spanischen Inquisition. Die Geschichte dieser Gemälde, sie ist auch die Geschichte der cojones in der Kunst.

Nobody expects the Spanish Inquisition! Velázquez und Goya taten es. Sie wussten um die Risiken ihrer Kunst. Und doch malte dieser damals rund 50-jährige Goya allen Ernstes Schamhaare in sein Bild! Es waren die ersten Schamhaare der spanischen Kunstgeschichte.

Tatsächlich steckte die Moderne noch in der Vorpubertät. Der Engländer William Turner (1775-1851) sollte erst in seiner Spätzeit die impressionistischen Anklänge konkretisieren, die sich bereits bei Velázquez fanden. Man betrachte nur den Fuß seiner Venus vor dem Spiegel.

Die aufgelösten Konturen vermitteln den Augenblick in seiner Flüchtigkeit – es ist ein eindeutig impressionistisch aufgefasster Fuß. Es dauerte anschließend noch gut 200 Jahre, bis Édouard Manet (1832-1883), übrigens ein glühender Verehrer von Velázquez, mit seinem Frühstück im Grünen (1863) die Ära der modernen Kunst einläutete und auch dem französischen Impressionismus Tür und Tor öffnete.

Vergleicht man die Venus vor dem Spiegel und Die nackte Maja, so fällt ein Unterschied unmittelbar ins Auge: Velázquez‘ Venus kehrt uns den Rücken zu. Das 17. Jahrhundert war offenbar noch nicht reif für goyaeske Schamhaare.
Doch Velázquez machte die Not zur Tugend, oder vielmehr: die Tugend zur Unzucht. Unser Blick fällt unwillkürlich auf Venus‘ mit größter malerischer Sorgfalt modellierten Hintern, erst danach in ihr im Spiegel reflektiertes Gesicht, das diese Reihenfolge zumindest nicht zu missbilligen scheint. Und wer genau hinschaut und die Position des Betrachters mit der des Spiegels und der Venus in Relation setzt, der weiß, dass wir im Spiegel eigentlich einen anderen Teil ihres Körpers sehen müssten. (Klick mich, wenn du mehr wissen willst, des Englischen mächtig bist und eine knappe Stunde Zeit hast.)

Velázquez‘ Meisterwerk ist eine Einladung zum Voyeurismus. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Die Spanische Inquisition konnte dem Liebling des Königshauses wenig anhaben.

Gleiches lässt sich von Goya nicht sagen. Schonungslos wie eh und je zeigt er eine ‚Maja‘ (span. hübsch, süß), die offenherziger nicht sein könnte. Sie nimmt nicht den Umweg über einen Spiegel, sie verführt uns, vor einen unscheinbaren Hintergrund gesetzt und effektvoll beleuchtet, unverhohlen. Auftraggeber für das Bild war kein Geringerer als Manuel de Godoy (1767-1851), der spanische Premierminister.

Für diesen schuf Goya auch Die bekleidete Maja (1800-1808), bis auf ebendieses winzige Detail ganz dem Original nachempfunden. Godoy ließ die bekleidete Version in seinen Privaträumen über die nackte hängen und einen Mechanismus bauen, mit dem man sie nach Bedarf wieder bloßlegen konnte. So vertrieb sich der Premierminister vermutlich seine Abende.
Unglücklicherweise bestieg 1808 Godoys Intimfeind Ferdinand VII. den spanischen Thron, der Ex-Premier floh nach Frankreich und die Spanische Inquisition konfiszierte alsbald die beiden Majas. Goya wurde vor das heilige Gericht zitiert. 1815 musste er seinen Posten als Hofmaler räumen.
Und die Moral von der Geschicht‘: Schamhaare schätzt der Inquisitor nicht. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Gustave Courbet (1819-1877) in Spanien…

Velázquez‘ Zeitalter wird in Spanien auch als ‚El Siglo de Oro‘ bezeichnet und hat, abgesehen vom Meister, Künstler wie El Greco oder Bartolomé Esteban Murillo hervorgebracht. Einige ihrer größten Werke sind jetzt und noch bis zum 30. Oktober 2016 in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen. Unbedingt hingehen! Ich fürchte jedoch, die Venus gibt es nur in London oder bei uns:
Autor: Arik Jahn

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