
Die Nabis: Abenteuer impressionistischer und postimpressionistischer Künstler
Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem Die Nabis (ASIN: B00KHLOX3C), von Albert Kostenevitch herausgegeben von Parkstone International.
Pierre Bonnard, Maurice Denis, Ker-Xavier Roussel, Édouard Vuillard und Félix Vallotton werden in der Kunstgeschichte als eine Gruppe betrachtet, obwohl ihre Werke eigentlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweisen. In ihrer Jugend gründeten sie eine lose Vereinigung mit einem merkwürdigen Namen – die Nabis. Der Name ist aus dem hebräischen Wort für „Prophet“ abgeleitet, und tatsächlich verstanden sich die Mitglieder der Gruppe als Propheten einer neuen Malerei. Kunsthistoriker, die die Arbeiten der Nabis als eine spezielle Form des Postimpressionismus sehen, haben sich längst an diese seltsame Bezeichnung gewöhnt, die rein gar nichts über die künstlerischen Ziele, die Maltechnik oder die ästhetische Auffassung der Gruppe aussagt. Ihre Mitglieder waren alle sehr verschieden, und vermutlich war es diese Verschiedenheit, die es unmöglich gemacht hat, ein sinnvolleres Etikett zu finden – oder mindestens eines, das eher der konventionellen Nomenklatur entspricht.
In der Eremitage in St. Petersburg sind Bonnard und seine Freunde durch eine sehr schöne und umfangreiche Gemäldesammlung vertreten. Etwas kleiner, aber von der Auswahl her erstklassig, ist der Bestand des Puschkin-Museums der bildenden Künste in Moskau. Im vorliegenden Band stellen wir alle Gemälde der Nabis vor, die sich im Besitz dieser beiden Museen befinden.

Tatsächlich kam in Russland schon früh ein Interesse an den Nabis auf. Allerdings beschränkte es sich auch hier, genau wie im übrigen Europa, auf einige wenige Sammler, die dem Zeitgeschmack des breiten Publikums voraus waren. Die Werke Bonnards, Denis’ und Vallottons gelangten bald nach ihrem Entstehen nach Moskau und etwas später nach St. Petersburg. Einige Arbeiten entstanden sogar im Auftrag russischer Kunstliebhaber. Zur damaligen Zeit verstieß die Anschaffung eines modernen französischen Gemäldes durch einen russischen Sammler gegen den „guten Geschmack“. Die Kunstliebhaber, die sich trotzdem dazu verstiegen, gehörten im Unterschied zu früheren Epochen nicht der Aristokratie an, sondern dem wohlhabendem Bürgertum. Es waren moderne, gebildete Unternehmer, die gewohnt waren, sich auf ihre eigene Spürnase zu verlassen und deshalb auch in Fragen der Kunst ihrer persönlichen Eingebung folgten. Zwei von ihnen, Sergej Schtschukin (1854 bis 1937) und Iwan Abramowitsch Morosow (1871 bis 1921), erwarben auf diese Weise Gemäldesammlungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts zu den besten der Welt zählten. Ihre Häuser in Moskau wurden zu wahren Museen der neuesten Kunst.
Sergej Schtschukin ist wohl der bekanntere der beiden Kunstmäzene. Das kann auch nicht verwundern, denn durch seine Kühnheit, die in den Augen der meisten Zeitgenossen an Verrücktheit grenzte, hatte er bereits sehr früh in der Öffentlichkeit von sich reden gemacht. Aus Paris brachte er die bedeutendsten Gemälde von Derain (1880 bis 1954), Matisse (1869 bis 1954) und Picasso (1881 bis 1973) mit nach Moskau, noch bevor sich das Pariser Publikum von dem Schock, den sie bei ihm erweckt hatten, erholt hatte.

Die Kunstforscher sind noch heute erstaunt über die verblüffende Sicherheit seiner Wahl. Er zeigte Verständnis für Matisse und Picasso, als die Kunstkenner ihnen noch befremdet oder gar irritiert gegenüberstanden. Von den Nabis allerdings war Schtschukin weniger angetan, wahrscheinlich waren sie ihm nicht revolutionär genug. Er kaufte ein Gemälde von Vuillard und einige von Denis, unter anderem das Bildnis der Marthe Denis, der Frau des Künstlers, Martha und Maria und Heimsuchung Mariä. Zuletzt kam noch das Gemälde, das Schtschukins Bruder Pjotr gehört hatte, Figuren in einer Frühlingslandschaft (Der heilige Hain), dazu, ein programmatisches Werk des europäischen Symbolismus und mit Sicherheit eines der besten Beispiele dieser Strömung. Bonnard aber wurde von Schtschukin vernachlässigt. Weil er Paul Cézanne (1839 bis 1906), Vincent van Gogh (1853 bis 1890) und Paul Gauguin (1848 bis 1903) als die Schlüsselfiguren des Postimpressionismus sah, verfiel er, wie so mancher andere, in den Fehler, Bonnard und seine Gefährten als sekundäre Erscheinung in der Malkunst abzutun.
Der eigentliche Liebhaber der Nabis und langjährige Sammler ihrer Werke aber war Morosow. Seine Begeisterung für ihr Schaffen verdankte er wahrscheinlich seinem Bruder Michail, einem der ersten Nabi-Sympathisanten außerhalb Frankreichs. Er besaß das erste nach Russland gelangte Gemälde Bonnards, Hinter dem Gitterzaun. Ebenfalls aus seiner Sammlung stammen zwei Gemälde von Denis, Mutter und Kind und Begegnung. Nach Michails Tod im Jahre 1903 nahm der jüngere Morosow die Sammlertätigkeit mit verdoppelter Energie auf. Beim Aufbau seiner Sammlung ging er sehr zielstrebig vor. Da er Bonnard und Denis als die Hauptvertreter der Nabis betrachtete, schenkte er ihrem Schaffen die größte Aufmerksamkeit, so dass ihr Werk in seiner Sammlung zuletzt ebenso vollständig vertreten war wie dasjenige der Impressionisten oder die Werke Cézannes und Gauguins.

Es gab noch einen weiteren russischen Sammler, der sich für die Kunst der Nabis interessierte: W. W. Golubew, der aber später seinen Wohnsitz nach Paris verlegte. Von dort schickte er für die genannte Ausstellung in St. Petersburg aus seiner Kollektion Vuillards Herbstlandschaft und Denis’ HI. Georg. Diese Ausstellung, in der die besten Gemälde von Paul Gauguin, Édouard Manet (1832 bis 1883), Claude Monet (1840 bis 1926), Auguste Renoir (1841 bis 1919) und Paul Cézanne (1839 bis 1906) zu bewundern waren, verhalf der neuen französischen Kunst zum Durchbruch.
Die Gruppe Bonnards und seiner Freunde gelangte erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ins Scheinwerferlicht der Kunst. Von der unverwechselbaren Atmosphäre jener Zeit – wie immer man sie auch nennen mag: la belle époque oder fin de siècle – genährt und geprägt, drücken sie ihr umgekehrt auch ihren Stempel auf. Man kann die französische Kunst des 19. Jahrhunderts auf verschiedene Weise periodisieren. Eine Einteilung nach den Hauptmerkmalen der Kultur ergibt drei etwa gleich lange Perioden. Die erste, deren Anfang im Zeichen des Klassizismus steht, gipfelt in der Entstehung der Romantik. Die zweite ist fast ausschließlich vom bald selbstständig, bald im Zusammenspiel mit der Romantik oder gar einem ins Akademische ausartenden Klassizismus in Erscheinung tretenden Realismus beherrscht. Die dritte ist durch eine gesteigerte Komplexität der künstlerischen Problematik gekennzeichnet. Hier kann man immer noch die Einflüsse früherer Epochen in den verschiedenen künstlerischen Stilen nachweisen, aber nur zur Hervorhebung der neuen und ungewöhnlichen Manifestationen. Die Entwicklung der Malkunst macht jetzt plötzlich Riesenschritte. Ihre Sprache wird angereichert durch eine Vielzahl von neuen Entdeckungen. Die führende Rolle geht jetzt an den Impressionismus, wie feindselig sich die meisten Maler, die offiziellen Kunstkreise und das breite Publikum ihm gegenüber auch verhalten mögen.

Der Auftritt Édouard Manets in den 1860er Jahren zerstört den bisherigen Frieden. Seine Bilder lösen eine wahre Revolution aus und ebnen den Weg für die Vertreter eines neuen Stils, für die Impressionisten. Die 70er Jahre sind die Periode ihres entscheidenden Kampfes um eine neue, unvoreingenommene Behandlung der Wirklichkeit und um das Recht, mit reinen, leuchtenden Farben zu malen, die allein ihrer natürlichen, unbefangenen Sehweise Genüge tun konnten. Die 80er Jahre bringen wieder neue Entwicklungen. Ausgehend von den Entdeckungen von Monet und seinen Mitstreitern, beschreiten auf der einen Seite Georges Seurat (1859 bis 1891) und Paul Signac (1863 bis 1935) und auf der anderen Paul Gauguin ganz unterschiedliche Wege. Die Ansichten dieser Künstler klaffen weit auseinander. Die „wissenschaftliche“ Ausrichtung der ersten beiden Neoimpressionisten steht in krassem Widerspruch zu Gauguin und seiner Schule von Pont-Aven, deren Vertreter sich an der mittelalterlichen Kunst inspirierten.
Vincent van Gogh, zeitlebens auf der Suche nach einer Heimat und inzwischen von Holland nach Frankreich umgezogen, führte die impressionistische Malweise in eine andere Richtung: Sein Anliegen war es, seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. All die genannten Künstler entfernten sich ein ganzes Stück vom Impressionismus, und doch verdankten sie vieles der von Manet ausgelösten Revolution. Als die Gemälde von Seurat und Gauguin auf der letzten Ausstellung der Impressionisten (1886) gezeigt wurden, war schon sehr deutlich zu erkennen, wie weit sie sich voneinander entfernt hatten. Unter den „Abtrünnigen“ darf man die beiden Zeitgenossen der Impressionisten nicht vergessen – Odilon Redon (1840 bis 1916) und allen voran Cézanne, der von Anfang an nicht nur die großen Verdienste der impressionistischen Malweise gesehen hatte, sondern gleichzeitig auch gewisse Anzeichen, die die Gefahr von Oberflächlichkeit und die Ablehnung der ewigen Wahrheiten in sich bargen.

Schon bald tauchte im Wortschatz der Kunstszene ein neuer Begriff auf – der „Postimpressionismus“. Kein sonderlich origineller oder aussagekräftiger Name, aber er blieb haften. Seine Unbestimmtheit ist kein Zufall. Manche der französischen Künstler, die anfänglich durch die impressionistische Sicht der Welt angeregt worden waren, legten diese nun ab wie ein altes Hemd und folgten ihrer eigenen Eingebung. So entstand ein bisher nie da gewesenes Nebeneinander verschiedener Stilrichtungen, die sich weder formell noch logisch auf einen Nenner bringen ließen. Ihre stärkste Ausprägung fand diese Diversität in der Zeit vom Ende der 1880er Jahre bis nach der Jahrhundertwende. Diese Situation ließ sich ganz einfach nicht mit einem Namen bezeichnen. Die Nabis praktizierten nie einen einheitlichen Malstil. Vielmehr lag die Einmaligkeit dieser Gruppe ja gerade darin, dass es jedem Teilnehmer freistand, seine eigene Bahn hinsichtlich der stilistischen, ideologischen und religiösen Vorstellungen einzuschlagen. Dennoch waren sie durch ein gemeinsames Programm verbunden, das seine Wurzeln aber im Wesentlichen in ihrer starken Freundschaft hatte. Sonst wäre die Gruppe nicht zustande gekommen und hätte auch bestimmt nicht so viele Jahre überdauert…
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