
Die Poetische Visionen von William Blake
Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem William Blake (ISBN: 9781783106806) von Osbert Burdett, herausgegeben von Parkstone International.
Wir werden verleitet, einer Lüge zu trauen,
Wenn wir nicht durch das Auge schauen,
Das im dunklen Nichts der Nacht entsteht und im dunklen
Nichts der Nacht vergeht,
Als die Seele noch schlafend sich wärmte im Licht.
Gott erscheint, Gott ist das Licht
Den armen Seelen, die hausen im dunklen Nichts;
Doch erscheint er als einer vom Menschenschlage
Denen, die hausen im Reich des Tages.
The Songs of Innocence entstanden zwei Jahre nachdem sich Blake – nach dem Tod seines Bruders und der Beendigung seiner Zusammenarbeit mit Parker – in 28, Poland Street, niedergelassen hatte. Sampson vermutet, dass die beiden Abhandlungen There is no Natural Religion (Es gibt keine natürliche Religion) und All Religions are One (Alle Religionen sind eins) wahrscheinlich ein Jahr zuvor, also 1788, gestochen wurden.

In der Poland Street schuf Blake den Tiriel (1788), das Book of Thel (1789; Das Buch Thel), Marriage of Heaven and Hell (Die Hochzeit von Himmel und Hölle) und den ersten Band der French Revolution (Die Französische Revolution). Bevor wir uns diesen Werken, die wohl als seine frühesten prophetischen Bücher betrachtet werden können, zuwenden, müssen wir uns erst mit der neuen Lebenssituation Blakes beschäftigen und, so weit dies möglich ist, verstehen, welche Gedanken ihn zu jener Zeit umtrieben. Er, der gegenüber Einflüssen seit jeher höchst sensibel war, scheint von verschiedenen Büchern, auf die er stieß, auf diesen Weg gebracht worden zu sein.
Ein Jahr nach Blakes Einzug in die Poland Street erschienen zwei Bücher, die bereits auf Form und Inhalt seiner späteren Schriften hindeuten. Sie faszinierten ihn zutiefst, und seine Anmerkungen zu diesen Werken sind bis heute überliefert. Dabei handelte es sich um Lavaters Aphorismen und Wisdom of Angels (Die Weisheit der Engel) von Swedenborg. Exemplare beider Bücher mit Blakes Anmerkungen existieren noch heute, und seine Kommentare wurden in vielfacher Auflage gedruckt. Beide Autoren waren exzentrische Denker, die sich für Theologie interessierten. Der eine erhielt die Priesterweihe, der andere war der unvorhergesehene Begründer der Neuen Kirche. Beide hatten sich in der Wissenschaft verdient gemacht und waren der Mystik zugeneigt.

Wer sich mit diesen Werken beschäftigt, erfährt Aufschlussreiches über ihre Auswirkungen auf die Ansichten des Dichters, dem wir uns widmen. Sein innerer Drang, jedes Vorbild, das seine Vorstellungskraft entfachte, noch weiter zu tragen, gibt uns Auschluss darüber, welche Auswirkungen das Studium dieser Werke auf Blake erwarten ließ. Es sollten die denkbar unglücklichsten gewählten Denkmodelle sein, die nur er hätte finden können, und da er sie mit ausgesprochen unkritischem Auge las, ist das Ergebnis nur allzu leicht vorstellbar.
Blakes prophetische Bücher verdanken das, was sie sind, dieser katastrophalen Verbindung zu ebenso hitzigen Köpfen wie ihm selbst, die jedoch immerhin durch aktives Studium zur Disziplin geschult worden waren. Nicht Blakes Genie trieb ihn zu der Form, die seine Schriften von nun an annehmen sollten, sondern dessen Unterwerfung unter die vorherrschenden gewöhnlichen Modelle.

Lavater war ein Schweizer Dichter, Pfarrer und Schriftsteller von Werken über Physiognomie. Er gilt als eigensinniger Individualist, als Apostel des Sturm und Drang, der Inbrunst, des Genie und Idealismus. Seine Aphorismen sind von durchwachsener Effizienz und wären heute von nur geringem Interesse, wenn nicht Blake aus ihnen eine ähnliche gnomische Form für seine eigenen gewagten Behauptungen abgeleitet hätte. Zweifelsohne verdanken wir Lavaters Aphorismen die Proverbs of Heaven and Hell (Sprichwörter aus Himmel und Hölle), für die er hauptsächlich bekannt ist. Sinnsprüche und Epigramme sind allseits beliebt, doch niemand kann an ihnen gemessen zu Weisheit gelangen, der nicht die Nähe zu ihnen durch eigene tief greifende persönliche Erlebnisse erfahren hat. Von einem intellektuellen Standpunkt erscheint ihr Einsatz fast schon ungerecht, denn sie überlassen es uns, für uns selbst zu entdecken, ob sie eine Regel beschreiben oder eine Ausnahme begründen, weshalb sie, wie Jules Lemaître feststellte, niemals endgültig widerlegt werden können.

Der frühe Einfluss Swedenborgs, den Blake bereits als Junge durch seinen Vater und seines Vaters Freunde in sich aufgesogen hatte, sollte nun durch ein neues Werk dieses transzendentalen Wissenschaftlers weiter verstärkt werden. Mystizismus und visionäre Erkenntnisse waren so tief in Blake verwurzelt, dass er sich nicht ganz ohne Gefahren den Lehren eines Denkers ergeben konnte, der behauptete, wissenschaftliche Kenntnisse über das Spirituelle zu besitzen und dessen System zwischen Himmel und Erde ausnahmslos alles mit einschloss. Swedenborgs unbestrittene Errungenschaften auf dem Gebiet der Wissenschaft, seine Gewohnheit, alles zu prüfen und zu erforschen, machten ihn für alle, die sich von ihm faszinieren ließen, zu einem schier unüberwindlichen Einfluss. Er war von solcher Vielseitigkeit und in seinen Ideen so unverwechselbar, dass er zwangsläufig eine verworrene Symbolik als unerlässliche Form für intuitive Ideen auferlegte.
Blake neigte dazu, sich solch offensichtlicher Dominanz zu widersetzen, und seine Anmerkungen zu Wisdom of Angels zeugen von seinem bangen Bemühen, seine geistige Unabhängigkeit zu wahren. Er konnte nie hinterfragen, ohne gleichzeitig das Hinterfragte übertreffen zu wollen, und so entwarf er in der Folge dieses Einflusses eine neue und eigene Kosmogonie. Er war für diese Aufgabe ganz und gar ungeeignet, da er, anders als Swedenborg, kein systematischer Denker war, und wenn sich jemand, der sich Systemen widersetzt, dazu entschließt, selbst eines zu schaffen, besteht für ihn die Gefahr, dabei in unendlichem Chaos zu versinken. „Ich muss ein eigenes System mir schaffen oder dem eines anderen untertan sein!“ Dies ist der traurige Aufschrei eines Verstandes, der seinen Weg falsch verstanden hat. Es war die Anregung durch Lavater, die Blake zu Anmerkungen bewegte. Es war der Wetteifer mit Swedenborg, der ihn zur Systematisierung trieb.

Wenn Swedenborg mit Engeln gesprochen hatte, dann hatte auch Blake mit Engeln gesprochen; wenn Swedenborg Visionen gehabt hatte, dann hatte auch Blake Visionen gehabt, und wenn Swedenborg in der Bibel die göttliche Weisheit erfahren und durch göttliche Anweisung zur Auslegung ihrer spirituellen Bedeutung bestimmt wurde, musste auch Blake sich dieser Aufgabe annehmen. Von jenem Moment an las und beschäftigte sich der Dichter, der Kunst und Religion bald für austauschbare, gleichwertige Begriffe halten sollte, wo immer die Kunst einer Offenbarung weicht, die ihre Eigenständigkeit aus unmittelbarer Schönheit bezieht, nur noch mit apokalyptischer Literatur.
Der Mystiker, der sich einer direkten, persönlichen Erfahrung der Wirklichkeit rühmen kann, bedarf zwar der Kunst nicht um seiner selbst willen, wenn er aber sein Wissen und seine Erkenntnisse anderen mitteilen und gleichzeitig seine künstlerische Integrität wahren will, so muss er die von ihm selbst gewählte Form respektieren. Durch die Konzipierung einer unnötigen und willkürlichen Symbolik für seine Anschauungen und durch seine Weigerung, sich an die traditionellen literarischen Formen zu halten, gelang es Blake weder, sich über das eine noch über das andere hinwegzusetzen, sondern hinterließ nur heilloses Durcheinander. Als er sich schließlich daran machte, Swedenborgs Lehren zurückzuweisen, wandte er sich endgültig von allen Formen und Modellen ab: es bleibt das Zeugnis eines weiteren großen Geistes, den ein von ihm selbst geschaffenes Chaos entthronte…

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