Der Fuß des Berges, 1890, William Morris, Arthur Clutton-Brock
Deutsch

William Morris (deutsche Version)

Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem William Morris (ASIN: B016XN1902) von Arthur Clutton-Brock, herausgegeben von Parkstone International.

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts kamen sowohl in England als auch in Frankreich „dekadente“ Möbel auf, die nicht für den täglichen Gebrauch, sondern als Luxus für die Reichen gedacht waren: Die satten Vertreter der Bourgeoisie umgaben sich mit einer Fassade geschmackloser Prunkstücke. Die Möbel für den praktischen Gebrauch hingegen waren nach wie vor schlicht und einfach, von solider handwerklicher Qualität und ausgewogen proportioniert. Es wurden pompöse Paläste gebaut und prunkvoll ausgestattet, während die Häuser bescheiden konstruiert und einfach möbliert waren. Was immer die Handwerker ohne künstlerische Ansprüche schufen, fertigten sie mit Geschick und in guter Qualität; ihre Arbeit war von einer unaufdringlichen, unbewussten Schönheit, die keine Aufmerksamkeit auf sich zog – bis es zu spät und das Geheimnis verloren war.  Als dann die Katastrophe eintrat, betraf sie weniger die von wohlhabenden Gönnern unterstützten „höheren“ Künste wie die Malerei, sondern die angewandten oder „geringeren“ Künste, die auf eine unbewusste, universale Vorliebe für schlichtes Design und gute Handwerksarbeit gründen.

Gemälde auf Keramikfliese, 1876, William Morris, Arthur Clutton-Brock
William Morris und William Frend De Morgan (für den Entwurf) und Architectural Pottery Co. (für die Produktion), Gemälde auf Keramikfliese, 1876.
Handbemalte und glasierte Keramikplatte, 160 x 91,5 cm. Victoria & Albert Museum, London.

Zunächst schien niemand diese Veränderung zu bemerken. Jedenfalls finden wir bei den großen romantischen Dichtern, vielleicht mit Ausnahme von William Blake, keine Hinweise auf diesen Missstand. Die Dichter wandten sich mit unbewusstem Ekel von den menschlichen Artefakten ab und fanden ihre Zuflucht in der Natur. Wenn sie überhaupt von Kunst sprachen, dann von der des Mittelalters, weil sie sich zu allem hingezogen fühlten, was der Vergangenheit entsprang. Zinnen, Spitzbogen und bunte Glasfenster waren die Symbole, die ebenso wie das Wort „Mesopotamien“ ohne Sinn und Verstand überall verwendet wurden. Diese „Wiederbelebung“ bedeutete nichts weiter als den Überdruss der Menschen an der Hässlichkeit ihrer eigenen Zeit, die sich deshalb in die Vergangenheit flüchteten, um sich eine Luft- und Ortsveränderung zu verschaffen.

Allerdings war dieser Überdruss zunächst unbewusst. Man erkannte nicht, dass die Kunst von einer Krankheit befallen war, und noch viel weniger, dass diese Krankheit sozialer Natur war. Die Lebensfreude war einer sauertöpfischen Unlust gewichen, ohne dass man sich dies eingestand.  Erst der Kunstkritiker John Ruskin sprach aus, dass und warum es so war. Erst mit ihm fand das ästhetische Unbehagen seinen Ausdruck und seine wissenschaftliche Begründung.

Malerei, 1862, William Morris, Arthur Clutton-Brock
Edward Burne-Jones (für den Entwurf) und Morris, Marshall, Faulkner & Co. (für die Produktion), Malerei, 1862.
Serie von Buntglasscheiben von König Renés Hochzeitsreise, 64,5 x 54,8 x 3,2 cm. Victoria & Albert Museum, London.

Natürlich war er nicht der Erste, der die Übel seiner Zeit anprangerte, aber er war der Erste, den sein ästhetisches Unbehagen zum Propheten machte. Und dies war von großer Bedeutung. Er war ein Genie, der eine neue Bedrohung für das menschliche Leben erkannte und der es verstand, der immer mehr um sich greifenden Unlust in der Bevölkerung Ausdruck zu verleihen, auch wenn er zunächst als Einziger sich dessen bewusst war. Doch seine Rebellion erhielt Unterstützung von einem anderen genialen Geist, der von seinem Wesen her kein Kritiker sondern ein Künstler war, einem Mann, der in erster Linie Dinge mit seinen eigenen Händen schuf, um mit diesem kreativen Akt seine eigenen Werte auszudrücken.

Vielleicht würde man meinen, dass gerade er, in dessen Macht es stand, die wunderbarsten Gegenstände zu erschaffen, sich dieser Unstimmigkeit nicht bewusst gewesen wäre. Er war nicht nur imstande, seinen inneren Drang nach Schönheit poetisch auszudrücken, er vermochte auch dank seiner kreativen Schaffenskraft seinen eigenen ästhetischen Idealen Gestalt zu geben. Wie hässlich und nichtssagend auch die Welt um ihn herum sein mochte, er konnte für sich ein irdisches Paradies erschaffen und in seiner Tätigkeit das beglückende Gefühl des Künstlers erleben. Es gibt Menschen mit künstlerischer Begabung, die sich nicht mit der Ausübung ihrer Kunst zufrieden geben. Morris hingegen freute sich wie ein spielendes Kind an all den Hundert Dingen, die er entwarf und produzierte. Schon in jungen Jahren wusste er genau, was er wollte, und er war frei genug, diese Träume zu verwirklichen.

Morris hingegen war der Ansicht, Kunst sei nicht nur Sache des Künstlers, sondern sie hätte einen natürlichen und notwendigen Platz im menschlichen Leben. Und mit „Kunst“ meinte Morris, genau wie Ruskin, nicht nur Gemälde oder Plastiken, ganz im Gegenteil: Viel wichtiger waren für ihn die Gebrauchsgegenstände aus menschlicher Hand, die in vergangenen Epochen schön, nun jedoch hässlich geworden waren. Die Hässlichkeit von Häusern, Kleidern, Tassen und Tellern, Tischen und Stühlen – in der Tat von allem Handwerklichen. Und da Morris ein Mann der Tat und ein Künstler war, fing er an, für sich selbst und für andere schöne Gegenstände zu schaffen. Doch er sah schnell ein, dass sein persönlicher Einsatz in einer Welt voller Hässlichkeit nichts ausrichten würde, weil sämtliche Bedingungen unserer Gesellschaft das Hässliche begünstigten und das Schöne verhinderten. Dies wusste er wie kein anderer aufgrund des Glücks und des sinnlichen Vergnügens, das er bei seiner eigenen Arbeit empfand und der Schönheit, die daraus resultierte.

Minnesänger, 1872-1874. Buntglasfenster, 71 x 43 cm. Victoria & Albert Museum, London.

Es wäre leicht, William Morris als einen Visionär abzutun, doch sind Visionäre für alle großen Bewegungen notwendig, denn sie allein können den Kurs bestimmen, sie allein den Menschen das kollektive Ziel vorgeben. Es reicht nicht aus, den Frieden zu predigen, indem man von dem Grauen des Krieges erzählt, denn es liegt in der Natur des Menschen, die Schrecknisse der Langeweile vorzuziehen. Morris meinte, unsere moderne Gesellschaft befände sich in einem Zustand des wirtschaftlichen Krieges, weshalb sie ängstlich, freud- und machtlos sei wie ein wilder, in endlose Fehden verwickelter Stamm von Eingeborenen. Der wirtschaftliche Frieden, den er sich wünschte, würde den Menschen genügend Freiheit und Freizeit für die schönen Dinge des Lebens geben. Diesen Frieden hoffte er herbeizuführen, indem er seinen Mitmenschen zeigte, wie sie schöner und besser leben konnten.

Denn unsere Welt ist mehr an Morris’ Ideen interessiert als an ihm persönlich, und sein Einfluss ist wesentlich größer als sein Name. Durch seine Kunst hatte er einen nachhaltigen Einfluss auf  ganz Europa. Unter den Dichtern verweisen wir ihn meist auf den Platz des letzten und extremsten der Romantiker, doch seine spätes poetisches Werk ist frei vom Weltschmerz und von den unbestimmten Gefühlen, die so typisch für die Romantiker sind. Wenn Morris die nur in seiner Vorstellung existierende Welt beschreibt, dann waren dies Entwürfe für die Welt, die er sich wünschte; sein Anliegen war stets die Zukunft, selbst wenn er noch so sehr mit der Vergangenheit verbunden schien. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich von allen anderen romantischen Dichtern, und selbst in seinen visionären Gedichten sagt er uns stets, was er an der Wirklichkeit schätzt, was am meisten menschenwürdig ist und was das Leben lebenswert macht. Alles was er schrieb, ob Prosa oder Gedichte, sind Berichte seines eigenen großartigen Abenteuers in einer Welt, die er zu verwandeln hoffte.

Der Pilger außerhalb des Gartens der Liebe, um 1893-1898., William Morris, Arthur Clutton-Brock
William Morris und Edward Burne-Jones, Der Pilger außerhalb des Gartens der Liebe,
um 1893-1898. Detail von dem bestickten Fries „Rosenroman“, 155,9 x 306,7 cm.
Victoria & Albert Museum, London.

Ich will in diesem Buch versuchen, ein paar Beschreibungen seiner Größe zu geben, nicht etwa seine Biografie zu erzählen, denn dies hat J. W. Mackail bereits auf bewundernswerte Weise getan. In dieser Reihe ist William Morris der Gegenstand eines Bandes, nicht weil er ein Dichter oder Künstler war, sondern weil ohne ihn der menschliche Geist heute vielleicht ein anderer wäre. Dennoch sind seine Kunst und seine Gedichte ein wichtiger Teil seines Schaffens; tatsächlich war er ein Künstler und Poet noch bevor er bewusst daran ging, die Welt zu ändern, und die Welt schenkte ihm Gehör, weil er ein Künstler und ein Poet war.

Ich habe dieses Buch geschrieben, ohne ihn gekannt zu haben, als einen Versuch, seine Wirkung und die Größe seines Werks aufzuzeigen. Morris hat so viele Leistungen vollbracht, dass es unmöglich ist, alle in einem Buch dieses bescheidenen Umfangs zu würdigen, und doch war er niemals der Mittelpunkt eines Kreises wie etwa Dr. Johnson oder Dante Gabriel Rossetti. Diejenigen, die das Glück hatten, direkt mit ihm in Kontakt zu kommen, spürten, dass er ihnen alle Aspekte des Lebens und der Kunst näher brachte.

Dies wird er zweifellos noch für viele nachfolgende Generationen tun.

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