
Schiele: Sex, Introspektion und Tabubruch
Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem Egon Schiele (ISBN: 9781783102747), von Esther Selsdon und Jeanette Zwingenberger, herausgegeben von Parkstone International.
Im Gegensatz zu Klimt findet Schiele seine Modelle auf der Straße, junge Mädchen aus dem Proletariat und Prostituierte, er bevorzugt dabei Kindfrauen androgynen Typs. Der dünne, hagere Körper seiner Modelle kennzeichnet die Zugehörigkeit zu den unteren Klassen, während die vollbusigen, üppigen Damen der Bourgeoisie ihren Status durch ihre wohlgenährte Korpulenz zum Ausdruck bringen. Doch ist die Haltung der legendären Kaiserin Sissi symptomatisch für eine Zeit, in der das herkömmliche Frauenbild ins Wanken gerät. Sie gebärt zwar die gewünschten Nachkommen, lehnt sich jedoch gegen die von ihr erwartete Mutterrolle auf.
Ihr Ideal einer jungfräulichen Linie bringt sie fast zur Magersucht. Gleichzeitig schockt sie die Wiener Hofgesellschaft nicht nur mit ihren unkonventionellen Reitausflügen, sondern auch damit, dass sie ihre Kleider ohne die vorgeschriebenen Damenstrümpfe trägt. Schiele porträtiert in dieser Zeit des „Fin-de -Siècle“ die jungen ,Mädels’ aus der Arbeiterklasse. Wien ist, gemessen an der Einwohneranzahl, in Europa eine der Städte mit den meisten Prostituierten. Gerade im Proletariat fanden die Herren der gehobenen Gesellschaft in den wehrlosen Mädchen ,Objekte ihrer Begierde’, einer Begierde, die sie ihren eigenen Frauen gegenüber nicht empfinden konnten. Die jungen, mageren Leiber auf Schieles Aktzeichnungen erregen fast Mitleid, rote Flecken bedecken ihre dünne Haut und die skelettartigen Hände. Ihre Körper sind jedoch gespannt, die roten Genitalien voll und lockend. Wie kleine Tiere lauern sie auf den geilen Blick des Betrachters. Trotz ihres jungen Alters sind sich Schieles Modelle ihrer erotischen Ausstrahlung bewusst und wissen diese geschickt in Szene zu setzen.

Die masturbierende Geste der Hand auf der Scheide begleitet den herausfordernden Blick des Modells. Schieles Zeichnungen zeugen von dem einfachen Körperbewusstsein und der Selbstverständlichkeit, mit der die untere Schicht, für die die käufliche Liebe zum täglichen Brot gehörte, mit der Sexualität umging. Ein krasser Gegensatz zu den hygienischen Verboten der gehobenen Klasse, sich zum Beispiel beim Waschen des Unterkörpers nicht allzu lang aufzuhalten oder sich nicht nackt den Blicken der anderen auszusetzen. Empört ereifert sich das Wiener Publikum darüber, dass Schiele „das letzte Laster und die äußerste Verworfenheit“ male. Es ist sich jedoch nicht bewusst, dass Schiele sie damit gleichzeitig ihrer eigenen hypokritischen Sexualität überführt. In einem Brief schreibt er: „Mache furchtbar viel Reklame mit meinen verbotenen Zeichnungen“, und er zitiert fünf namhafte Zeitungen, die von ihm sprechen. Sind seine Aktzeichnungen einzig eine Verkaufsstrategie, dank der er von sich reden macht?
Die Zeichnungen dienen Klimt als Vorstudie für seine Bilder. Im Gegensatz dazu signiert Schiele seine Aquarellzeichnungen als finale Kunstwerke. Gerade das Skizzenhafte, das Unfertige, charakterisiert Schiele, der selbst in seinen Ölbildern den Malprozess offenlegt. Im Gegensatz zur ornamentalen Flächenkunst der Jugendstilmalerei verrät seine scharfe Linienführung und der zackig aggressive Stil die subjektive Handführung des Künstlers. Die Konturlinie erfasst die körperliche Präsenz und wird zu einer skulpturenhaften Eingrenzung im Raum. Schiele verzichtet dabei auf jegliche raumzeitliche Angabe.

Gleich einer Person, die sich in einem Spiegel betrachtet, dabei einzig auf ihr Gesicht und ihren Körper achtet, gleich einem Liebenden, der im Körper seiner Geliebten die Welt um sich herum vergisst. Vor dem Spiegel schafft Schiele seine Selbstporträts und einige seiner weiblichen Aktzeichnungen. Dies veranschaulicht die Zeichnung Schiele mit dem Aktmodell vor dem Spiegel. Die Szene ist sehr aufschlussreich, die Verdoppelung der nackten Frau in Vorder- und Rückenansicht verraten die Reflexion, jedoch steht da, wo der Spiegel ist, der Betrachter. Dieser fungiert als Spiegel, in dem sich das Modell betrachtet, sich seines Körpers versichert und in dessen Blick der Körper sich bewegt. Die Intimität zwischen dem Maler und dem Modell findet sich in dem Verhältnis von Betrachter und Zeichnung wieder.
Mit wenigen Linien umreißt Schiele die Umgrenzungen des Körpers auf dem Papier. Zwei Linien begrenzen einen Schenkel. Der Strich ist dynamisch, wird schwächer, folgt dem Duktus einer schnell dahin geworfenen Bewegung. Er liebt es, den Knochenbau kantig, mit harten Winkeln darzustellen. Der Strich Schieles wird zur Kalligraphie, die mit wenigen Linien die Expression des Körpers ergreift. Doch im Gegensatz zu dem widerstrebenden knochigen Aspekt von Schultern und Becken steht die runde Beugung der Brust; die orangenen Brustwarzen und die Vulva werden zu einem Wundmal.

Die Physiognomie seiner Modelle bleibt jedoch schemenhaft anonym, die Knopfaugen gehören eher zu einer Puppe, die im Grunde jede Frau darstellen könnte. Die Körperhaltung ist dem Blick des Betrachters zugewendet, vor dessen Augen sie ihre Genitalien zur Schau gestellt. Eigenartig ist jedoch die gespreizte Geste der Hände, diese muten widerspenstig hart an und erinnern darin an die Hände Schieles.
1908 partizipiert Schiele zum ersten Mal an einer öffentlichen Ausstellung im Kaisersaal des Stifts Klosterneuburg. Es handelt sich um kleinformatige Landschaftsbilder, die er im Freien vom Sommer bis in den Herbst hinein gemalt hatte. Jane Kallir zufolge hat Schiele gegen Ende 1908 nahezu die Hälfte aller Ölbilder seines Lebens gemalt…

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