
Von der mittelalterlichen zur Naiven Kunst – eine ähnliche Annäherung?
Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem Naive Kunst (ISBN: 9781783103409), von Nathalia Brodskaya herausgegeben von Parkstone International.
Es hat zwar den Anschein, als hätte die „primitive“ Kunst mit den Naiven wenig zu tun, tatsächlich ist dem aber nicht so. Zunächst einmal schöpfte jeder Naive des 20. Jahrhunderts seine Energie aus eben diesem „primitiven“ Bereich der Kunst. Und was noch wichtiger ist, die Naiven Maler des 20. Jahrhunderts, bei Henri Rousseau angefangen, traten durch das Interesse, das die professionellen Maler – ohne Rücksicht auf chronologische und geographische Grenzen – allem „Primitiven“, allem „Abwegigen“ entgegenbrachten, aus der Anonymität hervor. Und dieses Interesse erwachte bereits in der Epoche der Romantik, also schon vor langer Zeit. Die Renaissance entwickelte dann für die Kunst ein wissenschaftlich begründetes System, das bis zum 20. Jahrhundert das einzige Kriterium für den Professionalismus war.
„Ein Spiegel mit einer ebenen Oberfläche gibt ein wahrheitsgetreues Bild wieder, und ein vollkommenes Bild, das auf der Oberfläche irgendeiner ebenen Materie reflektiert wird, ähnelt einer Spiegeloberfläche. Und ihr Maler findet auf der Oberfläche ebener Spiegel euren Lehrer, der euch das Licht-Schatten-Spiel und die perspektivische Verkürzung jedes einzelnen Gegenstandes lehrt“, schrieb Leonardo da Vinci. Die Ehrfurcht, mit der die Renaissance der Exaktheit und der wissenschaftlichen Forschung gegenüberstand, hielt die Malerei in einem Netz mathematischer Berechnungen gefangen und stellte sie mit anderen Wissenschaften auf eine Stufe.
Gefühle und Intuitionen wurden ignoriert. Ein ganzer Bereich, genauer gesagt, mehrere Bereiche des künstlerischen Schaffens – die Kunst der prähistorischen Zeit, die der Urbewohner Afrikas und Ozeaniens, die orientalische Kunst und nicht zuletzt die kunstgewerblichen Erzeugnisse unbekannter Bauern – lagen außerhalb der für die Kunst vorgeschriebenen Grenzen.

Die Kunsttheorie der Renaissance über die Malerei schloss das gesamte Mittelalter aus der europäischen Kunst aus. Es war nicht wichtig, dass die Künstler des Mittelalters nach einem System, nach ihrem eigenen System gearbeitet hatten; wenn sie die Perspektive nicht zur Religion erhoben, wurden sie zu „primitiven“ Künstlern abgestempelt. Glänzende Meister des 13. und 14. Jahrhunderts – Duccio di Buoninsegna, Cimabue, Giotto – galten als „primitive“ Maler, weil ihre Malerei kein Abbild der Realität darstellte.
Mit der Zeit der Romantik begann eine Annäherung, besser gesagt, eine Rückwendung zur „primitiven“ Malerei. Für die jungen Romantiker war dies kein Selbstziel. Sie lehnten die traditionellen klassizistischen Sujets ab, die auf Plutarchs Lebensbeschreibungen zurückgingen und versuchten, die Kunst an die Realität, an die Gegenwart heranzuführen. Der Kritiker Auguste Jal schrieb 1824, dass er sich viel zu lange als Bürger von Athen, Karthago und Latium gefühlt hätte: heute interessiere ihn Frankreich.

Wichtige Künstler
Louis Vivin (Hadol, 1861 – Paris, 1936)
Schon als Kind begeisterte sich Louis Vivin für die Malerei. Er machte die schönen Künste am Gymnasium von Epinal zu seinem Hauptfach, musste aber aufgrund fehlender Geldmittel später eine Stelle als mobiler Postbeamter annehmen. Über dreißig Jahre lang durchquerte er so die Straßen Frankreichs und konnte sich erst nach seiner Pensionierung ganz der Malerei zuwenden. Auch er wurde von Wilhelm Uhde entdeckt, der ihm eine Ausstellung widmete, wodurch das Interesse der Öffentlichkeit für seine Werke geweckt wurde. Seine Liebe zum Detail und die große Exaktheit, mit der er arbeitete, regten viele naive Künstler zur Nachahmung an.

Dies ist eine der wenigen Konstanten, die diesen Kunststil zugeschrieben werden können. Vivin malte zahlreiche Ansichten der Hauptstadt, wobei er detailgetreu Dachziegel, Laub, Jagdszenen usw. darzustellen versuchte. Sein Interesse für Tiere zeugte von einer gewissen Kindheitsnostalgie, die für die naive Kunst charakteristisch war. So dienten Tierbuchillustrationen oftmals als Gelderwerb. Besonders bekannt wurde Vivin durch die Anwendung linearer Geometrie. Dina Vierny sagte von ihm, er sei „der genaueste und poetischste Künstler der naiven Kunst (…), der Mallarmé der naiven Malerei“.

Zusammen mit Séraphine de Senlis, Camille Bombois und André Bauchant gilt er als „Maler des heiligen Herzens“ wie sie von Uhde genannt wurden, der für sie eine Ausstellung organisierte: „Anstatt sie „Sonntagsmaler“ oder „Volksmaler“ zu nennen – die erste Bezeichnung ist nicht exakt und letztere nicht ausdrucksstark genug – wäre der Begriff „Maler des heiligen Herzens“ treffender. Nicht nur, weil sie neben der strahlend weißen Basilika Sacré-Coeur leben, die sie wie auch ihre ältere, vornehmere Schwester Notre-Dame regelmäßig malen, sondern vor allem, weil sie ihre Werke mit viel Herz und mit schlichter, bescheidener Liebe gestalten.“
Dominique Peyronnet (1872 – 1943)
Bevor er Maler wurde arbeitete Dominique Peyronnet als Lithograph, das erklärt die graphische Qualität und Genauigkeit seiner Bilder. Der französische Künstler war wohl nicht sehr schöpferisch, da er nur etwa dreißig Bilder malte. Zu seinen bevorzugten Motiven gehörten das Meer und nächtliche Waldlandschaften. Sein Pinselstrich ist lebhaft und präzise, seine Wellen verfügen über messerscharfe Konturen und die zeitlosen Farben bleiben stets attraktiv. Durch die Präzision seiner Linien scheint die Zeit auf dem Bild stehen zu bleiben und verleiht so seinen Werken eine wunderbare, seltsame Atmosphäre.

Die bestehende Kluft zwischen dem Vorhaben und der Durchführung sorgen bei den naiven Künstlern – und besonders bei Peyronnet – für einen eigenartigen, poetischen Eindruck. Aus der Abweichung entsteht das Unerwartete. Diese sonderbare, unscharfe Stimmung zeichnen die Bilder von Peyronnet aus und verleihen ihnen schöpferische Kraft, wie sie nur von wenigen Künstlern erreicht wurde. Das erklärt, warum sich die Surrealisten für naive Malerei interessierten, für die die Malerei „… einen Schritt in Richtung unser eigentlich abstrakten Kenntnisse machen sollte“.
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