
Edvard Munch, der Meister der psychologischen, emotionalen und spirituellen Wahrnehmung
Vom 20. September 2022 bis zum 22. Januar 2023 widmet das Musée d’Orsay in Zusammenarbeit mit dem Munch-Museum in Oslo dem berühmten norwegischen Maler Edvard Munch (1863-1944) eine Ausstellung, deren Werk in seiner ganzen Breite – sechzig Jahre Schaffenszeit – und Komplexität zum Teil unbekannt bleibt: Edvard Munch. Ein Gedicht über Leben, Liebe und Tod. Finden Sie es in dieser Ausstellung heraus!

Munchmuseet, Oslo, Norvège ©Munchmuseet, Oslo, Norvège / Halvor Bjørngård
Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem Edvard Munch (ISBN: 9781683256380), von Ashley Bassie und Elizabeth Ingles herausgegeben von Parkstone International.
Bei dem Namen Edvard Munch denken die meisten Menschen fast unvermeidlich an ein bestimmtes bemerkenswertes Bild, Der Schrei, das eine Gestalt mit einem an einen Totenkopf erinnerndes Gesicht zeigt, die vor dem Hintergrund eines feurigen, blutroten Sonnenuntergangs vor Grauen einen markerschütternden Schrei ausstößt. Dieses ikonenhafte Bild ist zu einem Inbegriff der den Expressionismus des späten 19. Jahrhunderts charakterisierenden Angst geworden.
Sein Schöpfer jedoch, ein sanfter Mensch mit Hang zur Selbstbeobachtung und Selbstanalyse, erreichte ein Alter von 80 Jahren und erlebte die weltweite Anerkennung des Expressionismus, bei dessen Entstehung er eine führende Rolle spielte. Auf eine gewisse Weise stellt man sich vor, dass der Erschaffer einer so drastischen Darstellung der Angst zu zerbrechlich und weltabgewandt gewesen sein muss, um die gewaltigen Veränderungen des frühen 20. Jahrhunderts zu überstehen. Aber obwohl Munch während des größten Teils seines Lebens unter erheblichen Depressionen und Angstzuständen litt, gelang es ihm, sein Leben so in den Griff zu bekommen, dass er ein umfangreiches Werk psychologisch tiefer und auf eine verstörende Art schöner Bilder erschaffen konnte.

Munch wurde im Jahr 1863 als Sohn einer jungen und zerbrechlichen Mutter, Laura Bjølstad, und ihres älteren Ehemanns, Christian Munch, geboren. Im darauffolgenden Jahr zog die Familie in das damals noch Kristiania genannte Oslo. Edvard war das zweitgeborene Kind und der ältere Sohn von insgesamt fünf Kindern.
Schon früh erkannte er, dass er mit zwei schwierigen Vermächtnissen zu kämpfen haben würde: der physischen Bedrohung durch die Tuberkulose, die zunächst seine Mutter und dann seine älteste Schwester dahinraffte, sowie der geringen, aber doch deutlichen Gefahr psychischer Instabilität. Laura Munch starb kurz nach der Geburt ihres fünften Kindes im Alter von 30 Jahren.
Man kann sich die Auswirkungen auf die Familie vorstellen. Der Vater litt am meisten, während die jüngeren Kinder im Erwachsenenalter nur noch verschwommene Erinnerungen an ihre Mutter hatten. Das Bewusstsein eines Verlustes aber verließ sie nie mehr.

Die Religiosität von Munchs Vater wurde nach dem Tod seiner Frau noch ausgeprägter, so dass die Furcht seiner Kinder, gegen christliche Prinzipien zu verstoßen, ihnen eine greifbare Angst vor der ewigen Verdammnis einpflanzte. Munchs traumatische Kindheitserfahrung des Todes wurde durch das unberechenbare Verhalten seines Vaters noch verschärft. Munch und seine Geschwister konnten sich nie sicher sein, wie die fanatische Frömmigkeit ihres Vaters zum Ausdruck kommen würde – sie konnten sich allerdings darauf verlassen, dass sie entweder als treue Christen oder als gehorsame Kinder zu wünschen übrig lassen würden. Von Zeit zu Zeit brach sich die von der Trauer über den Tod seiner jungen Frau unterdrückte spielerische Natur ihres Vaters wieder Bahn und ließ ihn wie einen ganz normalen Vater mit seinen Kindern spielen. Aber dann legte sich wieder die Dunkelheit über ihn und er schlug wild um sich.
Später schrieb Munch sogar, dass sein Vater immer wieder für kurze Zeit fast wahnsinnig wurde. Dies muss für einen sensiblen, ruhigen Jungen, der zudem selbst häufig krank war, sehr verstörend gewesen sein.

Der Tod seiner Schwester Sophie, des ältesten Kindes, fügte dem 13-jährigen Edvard sogar noch mehr Leid zu als der Tod seiner Mutter, bei dem er erst fünf Jahre alt gewesen war. Er beobachtete voller Sorge seinen für seine Schwester betenden Vater, während er selbst nichts für sie tun konnte. Für ihn und seine Schwester waren Dr. Munchs Versprechungen des ewigen Himmelsreichs angesichts ihres Lebenshungers bedeutungslos.
Ihr Leiden war ihr nicht anzusehen. Edvards völlige Hilflosigkeit und Trauer fanden einige Jahre später ihren Ausdruck in einem Bild, zu dem er geradezu besessen immer wieder zurückkehrte, in Das kranke Kind, dessen erste Version 1885/86 entstand. (Es sollte insgesamt sechs, in einem groben Abstand von jeweils zehn Jahren entstandene Versionen geben.)
Mit diesem großen Gemälde, das etwa 120 cm im Quadrat misst, bemühte er sich während seines gesamten Lebens, seine Gefühle über den Tod seiner Schwester zu artikulieren. Während ihrer letzten Krankheit flehte sie immer wieder um Hilfe und um Linderung ihrer Schmerzen – die ihr jedoch weder Edvard noch sein Vater geben konnten. Diese Hilflosigkeit verwandelte sich in ein Schuldgefühl, weil er im Gegensatz zu ihr überlebt hatte.

Sein Versuch, sich in diesem Bild in sie hineinzuversetzen, war zum Scheitern verurteilt, wie er auch in der Realität nicht mit ihr hatte tauschen können. Bis zu seinem Tod konnte er dieses Problem nicht lösen. Munch brachte seine ganzen Schuldgefühle in diesem fast unerträglich ergreifenden Bild zum Ausdruck. Das Gesicht des Mädchens ist bereits das eines Geistes, fast körperlos, während sie sich still danach sehnt, weiterleben zu können.
Aufgrund der vielschichtigen Bedeutungsebenen und der Heraufbeschwörung des seelischen Zustands des Malers handelt es sich hier um eines der ersten expressionistischen Bilder. Munch selbst sah es als einen „Durchbruch“ in seinem Stil an, und der Sammler und Kritiker Jens Thiis, der später Munchs Biographie verfasste, nannte es „… das erste monumentale Figurengemälde in unserer norwegischen Kunst“.
Die Betonung der Frömmigkeit, die indes keinerlei positive Folgen zu haben schien, da die Gebete für das Leben der Mutter und der Schwester unbeantwortet blieben, und der autoritäre Erziehungsstil des Vaters, der für kleinste Vergehen völlig unangemessen strafte, verbanden sich in Munchs Bewusstsein zum Bild eines ungerechten und zornigen Gottes ohne jedes Mitleid…

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