Micheline Bernardini im ersten Bikini von Louis Réard
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Bikini oder Burkini – Die Geschichte des Bikinis

Podcast von Bikini Story

Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem Bikini Story (ASIN: B016XN12AE), von Patrik Alac, herausgegeben von Parkstone International.

Ob in knalligen Farben, buntscheckig oder dezent eintönig, aus Kunststoff, Wolle oder Lycra, weit über die Hüften ausgeschnitten oder diese fast ganz bedeckend, unten als Tanga oder String, oben nur aus kleinen Dreiecken bestehend, die wie Blätter an der Haut kleben, oder aus einer komplizierten, mehrschichtigen Konstruktion, die wie eine Festung über die Brust ragt, begegnen wir ihm auf Schritt und Tritt. Aus zwei kleinen Stoffteilen zusammengesetzt, meistens in Dreiecksform geschnitten, sieht er nicht gerade nach Viel aus, wenn er am Bügel hängt. Doch am Körper getragen, geht eine unglaubliche Verwandlung vor sich: Die zwei unbedeutenden Stoffteile, die nur durch Zufall in die Badekostüm-Abteilung geraten zu sein scheinen, bekommen unerwartet Kurven und Formen, als hauchte man ihnen Leben ein. Über die Haut gestreift, lassen sich plötzlich Muster, Verzierungen und Aufschriften erkennen. Ein kleiner Metalleinsatz, der zuvor unscheinbar von der Stange hing, zeigt auf einmal über einer Körperstelle, die er schmückt und zur Geltung bringt, seine bisher verborgene Bedeutung.

Bademode 1952, Bikini Story
Bademode 1952, Modenschau in der Janika-Bar in Berlin.

Der Bikini entpuppt sich erst, wenn man ihn trägt, und das scheint die hervorragendste Eigenschaft dieses Kleidungsstücks zu sein. Zugleich gibt es kaum ein anderes Erzeugnis der Modeindustrie, das mit so vielen vorgefassten Ideen, Bildern und Eindrücken behaftet ist. Denn der Bikini gehört zu jenen Mythen unseres Alltags. Wie ein schnelles Auto, das seinem Fahrer ein rauschhaftes Machtgefühl verleiht, eine Mahlzeit aus Steak und Fritten, die nicht nur den Hunger stillt sondern auch ideologisch stärkt, oder eine goldene Kreditkarte, die ihrem Besitzer scheinbar unendliche Möglichkeiten eröffnet, ist der Bikini einer jener Gegenstände, hinter denen ein imaginärer Resonanzraum mitschwingt. Wenn wir diese Gegenstände besitzen oder berühren, wenn wir sie mit unserem Körper in Verbindung bringen, geben sie etwas von dem imaginären Zauber ab, mit dem wir sie aufgeladen haben und verändern unsere Welt.

Wenn also eine Frau einen Bikini anzieht, kleidet sie sich nicht einfach in ein beliebiges Badekostüm, sondern trägt einen magischen Gegenstand, der wie der Ring im Märchen sowohl sie als auch ihre Umgebung verwandelt. Sie wird so zur Schauspielerin ihres eigenen Lebens. Die neuen Fähigkeiten, die sie über den Bikini erworben hat, versetzen sie in eine Welt der Möglichkeiten, die sich von der Welt des Alltags grundlegend unterscheidet, in der alles geschieht wie es geschehen muss und wie es lange im Voraus für jeden Augenblick geplant und festgesetzt wurde.

Sonia mit einem schwarzen „Sonnenbrillen”-Oberteil von Pain de sucre, 1990, Bikini Story
Sonia mit einem schwarzen „Sonnenbrillen”-Oberteil von Pain de sucre, 1990. Foto: Delavigne.

Damit aber die Badende im Bikini eine solche Welt der Möglichkeiten betreten kann, muss sie sich in einen bestimmten Raum begeben, in dem sich diese Verwandlung erst vollziehen kann. Dieser Raum ist die wie eine dünne Atmosphäre um die Küsten der Kontinente gezogene Badelandschaft, ein Streifen, der als eine scheinbar endlose Kette von Strandabschnitten die Gesetze und Regeln, die im Alltag gelten, außer Kraft setzt. Wir alle kennen diese Badelandschaft bestens, sie gehört unersetzlich zu unserer Welt. Doch es war ein langer Prozess nötig, um sie zu errichten und in ihr ein so extravagantes und zauberhaftes Bedekostüm wie den Bikini zu erlauben. Die ersten Seebäder, die sich mit unseren Stränden vergleichen lassen, wurden gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet.

Bis dahin galt das Meer als etwas verstörend Unheimliches und Mysteriöses. Die vielbesungene See der Antike geriet im Mittelalter, das die Welt in einen dunklen Innenraum verwandelte, fast vollständig in Vergessenheit. Man fürchtete sich nicht nur vor dem Unbekannten, das im Meer auf den Menschen lauerte, sondern schon die Nähe der See galt als gefährlich und ungesund. Die Küstenanwohner bauten ihre Häuser so weit wie möglich ins Land hinein, um sich vor „gefährlichen Ausdünstungen” und dämonischen Kräften zu schützen.

Ursula Andress in dem Elvis-Film Fun in Acapulco, Bikini Story
Ursula Andress in dem Elvis-Film Fun in Acapulco (USA, Regie: Richard Thorpe).

Dieser Glaube an die gesundheitsschädigende Wirkung bestimmter Orte, der immer mit dem Element Wasser verbunden war, setzte sich bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert fort, als beispielsweise dem Kolosseum in Rom „unheilvolle Dämpfe” zugesprochen wurden. In Stendhals Spaziergängen in Rom ist öfters davon die Rede, und in Henry James’ Daisy Miller stirbt die gleichnamige Heldin nach einer verrückten Nacht, die sie im alten Amphitheater zugebracht hat. Das Meer wurde eigentlich nur bei unheilbaren Krankheiten empfohlen. Dieser Rand zum Unbekannten, hinter dem man lange Zeit einen Abbruch ins Nichts, die eckige Begrenzung der Welt, vermutete, erschien als letzte Hoffnung. Ein Beispiel dafür ist die im siebzehnten Jahrhundert gebräuchliche „Medizin” gegen Tollwut. Sie bestand einfach darin, sich dreimal kopfüber ins Meer zu werfen. Im neunzehnten Jahrhundert wurden Kuren an der See vermehrt empfohlen. Man vermutete therapeutische Qualitäten im wildbewegten Salzwasser, das man bei Anämie, Nervenkrankheiten, Rekonvaleszenzen von Brüchen und Stauchungen, Asthma und Hautkrankheiten verordnete.

Doch diese „Kuren” waren – wie alles im neunzehnten Jahrhundert – streng rationalisiert und exakt abgemessen. So sollte man sich, die Füße im Wasser, genau fünf Minuten lang im untiefen Gebiet dicht am Strand in lockeren Bewegungen ertüchtigen, dann mutig nach vorne schreiten und auf einmal bis zum Kopf eintauchen und in dieser Stellung möglichst bewegungslos verharren. Dann war das Wasser unverzüglich zu verlassen und der arg verlangsamte Kreislauf mit ausholenden Bewegungen am Strand wiederherzustellen.

Gaëlle Pietri trägt den Alala-Bikini von Pain de sucre, 2003
Gaëlle Pietri trägt den Alala-Bikini von Pain de sucre, 2003. Foto: Patricia Giudicelli.

Wie bei der Einführung der Eisenbahn, deren Benutzern man empfahl, sich gegen den Schock der „unvorstellbaren Geschwindigkeit” mit vor den Bauch und hinter den Rücken gebun-denen Kissen zu schützen, fragte man sich beunruhigt, welche Wirkung dieses unbekannte und unheimliche Element, in das man den Körper eintauchte, wohl haben mochte. Die Bademode fügt sich in ihren Anfängen dem Gebrauch, den man von Strand und Meer macht. Zunächst ist eine grundsätzliche Trennung zwischen Bade- und Strandmode festzustellen: Die letztere gleicht durchaus den aufwendig übereinandergestapelten Stoffverkleidungen, wie sie die Frauen zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts in den Städten tragen.

Von „Bademode” kann zu Beginn eigentlich gar nicht gesprochen werden, da die Ausflüge ans Meer nicht dem Schwimmen gelten, sondern einem kurzen Eintauchen ins Wasser. So mussten die ersten „Badekostüme” vor allem ebenso „schicklich und geziemend” sein wie die alltägliche Bekleidung und möglichst viel bedecken. Ihre zweite Funktion bestand darin, die „Badende” sowohl am Strand als auch im Wasser zu wärmen, weshalb sie aus dicken, wärmenden Wollstoffen hergestellt wurden…

Micheline Bernardini im ersten Bikini von Louis Réard
Micheline Bernardini im ersten Bikini von Louis Réard. Das Photo trägt die handschriftliche Widmung „Au talentueux artiste M. Réard. Souvenir de Molitor Micheline Bernardini“ [Dem talentierten Künstler, Herrn Réard, zur Erinnerung an Molitor, Micheline Bernardini].

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