Edward Hopper, People in the Sun (Menschen in der Sonne), 1960
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Die Pop Art Tradition – Die antwort auf die Massenkultur

Der untenstehende Text ist ein Auszug aus dem Die Pop Art Tradition (ASIN: B082KJYYYV), von Eric Shanes herausgegeben von Parkstone International.

Seit den späten 1950er Jahren hat sich in der westlichen Kunst eine neue Richtung entwickelt. Obwohl sie in ihrer von etwa 1958 bis 1970 dauernden Anfangsphase rasch das Etikett “Pop Art” erhielt, ist dieser Begriff schon immer als eine wenig erhellende Bezeichnung angesehen worden. Der Terminus der Massenkultur-Kunst ist wesentlich zweckdienlicher, da der britische Kunstkritiker Lawrence Alloway, der den Begriff “Pop” im Jahr 1958 prägte, nicht eine bereits bestehende Kunstrichtung meinte, schon gar nicht eine – damals noch in ihren Kinderschuhen steckende – rebellische, an der Jugend orientierte “Pop”-Kultur, an die man heute (allerdings schon immer weniger) bei diesem Wort denkt. Alloway beschäftigte sich vielmehr mit jener rasch steigenden Anzahl von Menschen in der gesamten westlichen Welt, deren schiere Menge und gemeinsame Wertvorstellungen neue Formen des kulturellen Ausdrucks ins Leben riefen und denen der wachsende Wohlstand, die zunehmende Freizeit und erschwingliche neue Technologien den Konsum der Massenkultur ermöglichten. Wie wir sehen werden, hat sich die so genannte Pop Art im Kern stets mit den Produkten und Auswirkungen der Massenkultur befasst. Deshalb ist es zutreffender, von der Massenkultur- Kunst zu sprechen. Das Präfix “Pop” wird allerdings auch in diesem Buch benutzt, um Verwechslungen zu vermeiden, zumal die komplexe Massenkultur auch Künstler inspiriert hat, die wir niemals mit der Pop Art in Verbindung bringen würden. Daher ist es durchaus wichtig, die Tradition, zu der sowohl diese Künstler als auch die Vertreter der Pop Art der 1960er Jahre beigetragen haben, als Massenkultur-Kunst zu charakterisieren, da anderenfalls die Gemeinsamkeiten dieser zeitlich und räumlich voneinander getrennten künstlerischen Traditionen aus dem Blick geraten würden. Dieses Buch verfolgt deshalb vier Ziele: vertraute Definitionen des Begriffs Pop Art zu erweitern; die Tradition der Pop-/Massenkultur-Kunst und ihre Ursachen zu ergründen; die wichtigsten Vertreter vorzustellen und eine repräsentative Auswahl von Werken dieser Künstler im Detail zu analysieren.

Campbell’s Soup (Turkey Noodle), 1962, Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur, Eric Shanes
Andy Warhol, Campbell’s Soup (Turkey Noodle) [Campbell’s- Suppe (Turkey Noodle)], 1962. Tintensiebdruck auf Leinwand, 51 x 40,6 cm. Sammlung Sonnabend.

Das Entstehen der populären Massenkultur war historisch ebenso unvermeidlich wie die künstlerische Reaktion auf sie. Wir leben immer noch in der modernen technologischen und demokratischen Epoche, die mit der Industriellen Revolution in England und den Revolutionen in Amerika und Frankreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte. Im Verlauf der Industrialisierung und Demokratisierung profitierten immer mehr Menschen von dem Fortschritt der politischen Partizipation und der wirtschaftlich auskömmlichen Arbeit; dem mit dem allgemeinen Anstieg der Lebensqualität verbundenen zunehmenden Individualismus und der Gesundheit sowie der Fähigkeit, lesen und schreiben zu können und schließlich der sozialen und räumlichen Mobilität. Gleichzeitig ist jedoch ein hoher Preis zu zahlen: häufig in tiefem Zynismus und Eigeninteresse begründete politische Manipulationen; wirtschaftliche Ausbeutung; die Globalisierung und gleichzeitige Verdrängung nationaler, regionaler oder lokaler Identität; eine für weite Kreise sinnlose und unbefriedigende Arbeit; zunehmende V erstädterung und Industrialisierung ländlicher Gebiete mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Landschaft; Umweltverschmutzung und der weitgehende Verlust spiritueller Gewissheit. Gewissermaßen als Kompensation hierfür gab es eine Explosion der Irrationalität, des Aberglaubens und des religiösen Fanatismus, kultureller Randerscheinungen, eines überzogenen Nationalismus, einer quasipolitischen Romantik und primitiver oder industrialisierter Massenmorde; Materialismus, Konsumorientierung und die Verehrung von Medienhelden. All diese Entwicklungen haben notwendigerweise auch die Institutionen, industriellen Prozesse und Produkte dieser Epoche betroffen. Allerdings konzentrierten sich Künstler erst gegen Ende der 1950er Jahre im Rahmen der Entstehung der Pop-/Massenkultur-Kunst erstmals ausschließlich auf diese kulturellen Tendenzen, Prozesse und Produkte ihrer Zeit.

Guitar, sheet-music and glass (Gitarre, Notenblätter und Glas), 1912, Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur, Eric Shanes
Pablo Picasso, Guitar, sheet-music and glass (Gitarre, Notenblätter und Glas), 1912. Geklebtes Papier, Gouache und Kohle auf Papier, 48 x 36,5 cm. Marion Koogler McNay Art Institute, San Antonio, Texas.

Als Lawrence Alloway 1958 von “Pop” schrieb, gehörte er im Institut für zeitgenössische Kunst in London zu einem Kreis, der die Unabhängige Gruppe genannt wurde. Dessen Mitglieder waren Künstler, Designer, Architekten und Kritiker, die erkannt hatten, dass das um die Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellte enorme Anwachsen der populären Massenkultur und seiner charakteristischen Kommunikationsformen diskutiert werden musste und es nicht länger ausreichte, diese Erscheinung snobistisch dem Abfallhaufen des Geschmacks des einfachen Volkes zuzuweisen. Erst die moderne technische Welt ermöglicht es überhaupt, die wachsende Zahl der Konsumenten industriell gefertigter Produkte wirkungsvoll anzusprechen. Der Zeitungsdruck, das Radio, die Kamera, das Zelluloid und der Filmprojektor, das Fernsehgerät und andere Technologien der Massenkommunikation bis hin zu jenen unserer Zeit, die ihre Vorgänger geradezu primitiv wirken lassen (und sie mit wachsender Geschwindigkeit ersetzen), haben jeweils neue Ausdrucksformen hervorgebracht, die allesamt einen fruchtbaren Boden für Künstler und Designer darstellen. Die populäre Massenkultur verfügt ferner über Energie und eine ausgeprägte Kraft. Ihre Kommunikationsmittel wie das Kino oder Fernsehen, die Reklame, Plakate und Zeitschriftenillustrationen verfügen über eine Unmittelbarkeit der Kommunikation, die jene von Werken größerer intellektueller Komplexität überragt. Man muss für das Verständnis der Dramen Shakespeares, der Sinfonien Beethovens und der Gemälde Rembrandts etwas mehr leisten als für den gewöhnlichen Hollywoodfilm, einen Popsong oder ein Plakat. Angesichts dieser Tatsache kam die Aufforderung der Unabhängigen Gruppe an Künstler und Designer, sich der Kraft, Energie und Unmittelbarkeit der Massenkultur zu bedienen, in den durch die Überwindung der Kriegszeit und den zunehmenden Wohlstand in der westlichen Welt gekennzeichneten 1950er Jahren gerade zur rechten Zeit. Die Relevanz dieses Gedankens wurde dadurch bestätigt, dass zahlreiche andere kreative Menschen an vielen Orten der westlichen Welt unabhängig von der Londoner Gruppe zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangten.

Aufgrund dieser Erscheinung war die Pop-/Massenkultur-Kunst eigentlich niemals eine homogene Bewegung. Zwar tauschten sich in Großbritannien einige diese Überzeugungen teilende Künstler während der frühen Phase aus. In den USA jedoch hatten nur wenige der Vertreter engen Kontakt miteinander. Deshalb ist es angebracht, die Pop-/Massenkultur-Kunst als eine kulturelle Dynamik und nicht als eine Bewegung zu beschreiben. In jedem Fall hatten historische Faktoren bis zu den 1950er Jahren den Boden für diese Erscheinung bereitet, die zu diesem Zeitpunkt bereits über gewisse Vorläufer verfügte.

Grant Wood, Daughters of Revolution (Töchter der Revolution), 1932, Die Pop Art Tradition - Die antwort auf die Massenkultur, Eric Shanes
Grant Wood, Daughters of Revolution (Töchter der Revolution), 1932. Öl auf Holzfaserplatte, 58,8 x 101,6 cm. Cincinnati Art Museum.

Selbstverständlich hatten sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schon viele Künstler mit der Menschheit als Masse beschäftigt. Zu den eindrucksvollsten Beispielen gehörten die Maler Francisco de Goya, J.M.W. Turner und David Wilkie, die häufig normale Menschen bei der Arbeit und bei ihren Vergnügungen dargestellt hatten. Die beiden letztgenannten Künstler hatten sich auch ganz bewusst einfachen Motiven gewidmet, indem sie normale Menschen in ihren Wohnungen, in Gastwirtschaften und auf Jahrmärkten gemalt hatten. Auf diese Weise hatten sie eine Tradition wieder belebt, die bis auf Maler aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie Pieter Bruegel den Älteren, Adrian van Ostade und David Teniers den Jüngeren, zurückreichte. Später, im 19. Jahrhundert, ließen sich auch Gustave Courbet, Edouard Manet und Edgar Degas sowie andere vom Leben der einfachen Menschen inspirieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Degas’ ausgezeichnete Studie der Entfremdung In einem Café aus der Zeit um 1876. Das Bild zeigt einen scheinbar hartherzigen Mann und eine brutalisierte Frau, die mental voneinander isoliert und räumlich von uns getrennt sind. Degas war ein wichtiger Einfluss für zwei bedeutsame Maler, die sich direkt mit der populären Kultur befassten: der Engländer Walter Sickert und der Amerikaner Edward Hopper.

Sickert folgte Degas, dem Maler von Massenvergnügungen wie Zirkus und Cafékonzerten, dadurch ganz offen, dass er Szenen aus dem Varieté und von Vergnügungspiers darstellte. Später entwickelte er zahlreiche Gemälde auf der Basis von Zeitungsphotos, indem er die Körnigkeit des Zeitungsdrucks ebenso wie die dargestellten Gegenstände nachahmte. Hopper war ebenfalls stark von Degas beeinflusst (vor allem von In einem Café, das er in Form einer Buchreproduktion aus dem Jahr 1924 kannte), was sich in seiner Darstellung der Einsamkeit des urbanen Menschen und der Entfremdung zeigt, jenen negativen Erscheinungen der Massengesellschaft und -kultur. Gegen Ende seines Lebens stellte er in People in the Sun (Menschen in der Sonne) sogar den hedonistischen Sonnenkult dar, der im Leben des modernen Menschen eine so große Rolle spielt…

Edward Hopper, People in the Sun (Menschen in der Sonne), 1960
Edward Hopper, People in the Sun (Menschen in der Sonne), 1960. Öl auf Leinwand, 102,6 x 153,4 cm. Smithsonian American Art Museum, Washington, D.C.

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