
Die Gegenwart der Heiligen Jungfrau Maria in der Kunst
Eine Person, die ein Buch liest Video von Roman Odintsov von Pexels
“ In Dankbarkeit Unserer Lieben Frau von Guadaloupe, Madonna der Alten und Neuen Welt. ”
Die Geschichte der Theologie im Lauf der Jahrhunderte zeigt die ständigen Wandlungen der Präsenz Marias. Wissenschaftler stimmen darin überein, dass es im Frühchristentum auch andere herausragende Gestalten weiblicher Spiritualität gab, wie die heilige Sophia, die als der weibliche Aspekt des komplexen christlichen Gottes verstanden wurde. Hagia Sophia stellte die göttliche Weisheit dar und wurde als kongenialer Schöpfergott, zusammen mit dem Vater, dem Sohn und Heiligen Geist verehrt. Im frühen Christentum wurde besonders in Osteuropa der Heilige Geist als weiblich verstanden. Dem entsprach häufig die Verehrung des weiblichen Aspekts des Göttlichen in der Gestalt der Sophia. In dem Maße, wie die Popularität der Jungfrau Sophias innerhalb des Klerus und der von ihm nach und nach verankerten Dogmen verblasste, nahm die Popularität der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, stetig zu. Eines der frühen noch vorhandenen Bilder von Maria wurde im zweiten oder dritten Jahrhundert gemalt und befindet sich in der Krypta der Verschleierten Madonna in den Katakomben von Priscilla in Rom. Dieses Bild stellt sie zusammen mit einer in der Mitte des Bildes stehenden weiblichen Figur dar, vielleicht ein frühes Bild von Sophia. Eine Figur, möglicherweise Jesus mit Jüngern, ist rechts von der betenden Figur im Mittelpunkt angeordnet. Die Jungfrau Maria mit dem Kind auf dem Arm, befindet sich links von der stehenden Figur.

Im sechsten Jahrhundert stabilisierte sich die Bedeutung der Mutter Gottes in der religiösen Dogmatik in ganz Europa, einschließlich des Byzantinischen Reichs. Diese Bestätigung dämmte die Bedrohung durch eine konkurrierende Religion ein, die der großen Göttin Isis in Ägypten. In den ersten Jahrhunderten nach Christus wurde das Bild Marias oft mit dem Bild dieser ägyptischen Göttin, deren Kult bereits mehrere tausend Jahre bestanden hatte, gleichgestellt und sogar mit ihm verwechselt.
Wie die Madonna hatte auch Isis einen göttlichen Sohn, Horus, und die Künstler bildeten sie oft ab, das Kind zärtlich auf dem Schoß haltend und ihm die Brust reichend. Eines ihrer wichtigsten Merkmale war die Darstellung als stillende Mutter – sie war wie Maria eine mitfühlende und liebende Gottheit, von der Sorge für die Anliegen der Menschen erfüllt.
Die Mythen von Maria und von Isis weisen viele Analogien auf. Beide haben ihren Sohn auf ungewöhnliche Weise empfangen und der Glaube an ihre unermessliche Liebe und ihr offenes Ohr für die Nöte und Gebete ihrer Anhänger vereint sie. Beide werden als Beschützerinnen von Frauen in Elend und Kummer gesehen und beide haben zahlreiche Wunder bewirkt. Viele der Maria geweihten heiligen Stätten wurden dort errichtet, wo in früheren Zeiten die der Isis gewidmeten Tempel gestanden hatten. Die meisten Menschen sahen keine großen Unterschiede zwischen den beiden weiblichen Gottheiten. Frühe christliche Marienverehrer verstanden ihre Madonna als eine neue Verkörperung der alten Gottheit Isis.

Die Religion der Gottheit Isis bestand mindestens viertausend Jahre lang. Neue Erkenntnisse legen jedoch die Annahme nahe, dass diese Gottheit über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahrtausenden verehrt wurde. Obwohl ursprünglich nur eine ägyptische Gottheit, wurde Isis im größten Teil der antiken Welt, die sogar einen bedeutenden Teil Europas mit einschloss, verehrt. Sie war die Tochter einer älteren ägyptischen Gottheit, der Himmelsgöttin Nut und wurde auch als eine jüngere Version der beiden ägyptischen Gottheiten verstanden, die ihr vorausgingen: Hathor und Sekhmet. Wie die Große Sekhmet war Isis eine Sonnengöttin, und wie Hathor besaß sie die Kraft des Mondes. Zur Darstellung ihrer mannigfaltigen Aspekte benutzten die Künstler eine Vielzahl von Symbolen, zu denen auch Pflanzen und Tiere gehörten. Zahlreiche frühe Symbole der Isis wurden später in die Ikonographie der Jungfrau Maria aufgenommen. Um das Jahr 431 erklärte das Konzil von Ephesus die Jungfrau im Byzantinischen Reiche zur Theotókos oder Gottesgebärerin. Dieses Ereignis inspirierte eine immer größere Zahl von Künstlern, Marienbilder zu schaffen. Viele dieser Darstellungen wurden jedoch später im siebten und achten Jahrhundert aufgrund des theologischen Streits innerhalb der Christenheit zerstört, nur einige wenige blieben auf wunderbare Weise verschont. Der Klerus der Ostkirche erkannte seine Kaiser als Kirchenführer an, und im Jahr 726 rief Leo III., ein byzantinischer Kaiser, eine Bewegung, die als Bildersturm (Ikonoklasmus) bezeichnet wird, ins Leben. Die Anhänger dieser Bewegung fürchteten, dass die Bevölkerung lediglich die Ikonen verehre anstelle der in ihnen enthaltenen religiösen Ideen.

Und im achten Jahrhundert konnte die Bewegung der Bilderstürmer im Byzantinischen Reich dann alle Heiligenbilder verbannen, weil sie der festen Überzeugung waren, die Gläubigen würden die Bilder selbst zu Götzen erheben anstatt den ihnen zugrunde liegenden spirituellen Werten zu huldigen. Diese Entscheidung wurde im folgenden Jahrhundert jedoch zurückgenommen und man begann mit neuer Inbrunst, der Jungfrau Maria gewidmete Ikonen zu schaffen.
Alles deutet darauf hin, dass die Rolle der Madonna sich immer noch weiter entwickelt. Die Überlieferung, die Ursprünge, das Dogma, die Mythen und die ständig wachsende Sammlung von Symbolen und Archetypen sind immer noch mit der rätselhaften Gestalt der Jungfrau Maria verbunden. Als weiblicher Prototyp von Spiritualität und Vollkommenheit wird die Madonna überdauern. Dieses Buch hält für den Leser die bedeutendsten Kunstwerke bereit, die im Lauf der Jahrhunderte zu Ehren Marias geschaffen wurden.

Diese Kunstwerke wurden von vielen verschiedenen Individuen geschaffen, die von unterschiedlichen Standpunkten aus und in der ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Bildsprache versuchten, die Gefühle und Überzeugungen ihrer Kulturen hinsichtlich der Großen Mutter zu vermitteln und zu erklären…


You must log in to post a comment.